Ein Touristikunternehmen macht Naturschutz zum Ferienspaß

2. August 2007

Die Appartementvermietung Rügen im Ostseebad Göhren, kurz AVR, unterbreitet ihren Gästen ein besonderes Angebot. Geführt von Scouts kann, wer will, auf Entdeckungstour ins Biosphärenreservat aufbrechen und für kurze Zeit in die Rolle eines Rangers schlüpfen. Betrachtet man die Angebote, scheinen der Vielfalt kaum Grenzen gesetzt zu sein: Man wird eingeladen zu einer Schwalbenralley oder zu einer Kleintiersafari, ins Strandlabor, auf eine Fledermausnacht und nicht zuletzt zum Wasservogelmonitoring auf dem Seekutter „Seedüwel“ im Vogelparadies der Having. Das Biosphärenreservat ist zwar klein, aber zu entdecken gibt es reichlich.

UrlaubsRanger heißt das europaweit einmalige Projekt, das die AVR gemeinsam mit den Naturschutzverbänden World Wide Found for Nature (WWF) und Naturschutzbund (NABU), unterstützt durch die Naturwacht des Biosphärenreservates,  auf der Insel aus der Taufe gehoben hat. „Abenteuer Naturschutz!“ lautet die Mission. 2005 hat sie begonnen. Über 6000 UrlaubsRanger sind ihr bisher gefolgt.

Angefangen hat alles mit dem Family Club, den die Hotelbetriebsgesellschaft AVR 1999 gründete, um ihren Feriengästen den Urlaubsaufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Während die Sportlehrer unter den Freizeitanimateuren die Eltern zu Sport- und Fitnessangeboten einluden, nahmen junge Pädagogen sich der Kinder an. „Viele der Angebote hatten schon damals mit Natur zu tun“, erinnert sich AVR Geschäftsführer und Gesellschafter Georg Heissler, der 1995 auf die Insel kam. Aber nicht nur in seinen Augen hatte Mönchgut mehr zu bieten, als nur eine schöne Kulisse für Wellness-, Sport- oder Fitnessangebote abzugeben. Mit Nadine Förster, die im unternehmen gelernt und neben ihrem Tourismusstudium in Stralsund den Family Club leitete, brachte er die Idee einer landschaftsverbundenen Freizeitanimation auf den Weg. Hinter Strand, Meer, Wäldern und Wiesen verbirgt sich eine Welt voller Spannung und Faszination, die es zu entdecken lohnt. „Wir wollten bewusst die Vorteile des Standortes Biosphärenreservat auf der Insel nutzen. Südost-Rügen bietet alles, was es für einen spannenden Sommerurlaub braucht. Verschiedenste Lebensräume liegen hier eng beieinander. Für viele Urlauber sind Themen wie Ressourcen- und Landschaftsnaturschutz nicht neu. Film und Fernsehen haben sie für Naturthemen sensibilisiert. Warum sollten Naturschutz und Tourismus nicht Hand in Hand gehen?“

Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, brauchte man kompetente Partner. Nach Möglichkeit sollten sie vor Ort an Naturschutzprojekten arbeiten, in die auch Laien ohne größere Schwierigkeiten für einen Tag hilfreich einsteigen können und die einen hohen Erlebniswert haben. In den Naturschutzverbänden fand man sie. Beide engagieren sich unter anderem im Vogelschutz und haben kaum Personal für ihr Monitoring. Der WWF beobachtet in der Having die Entwicklung der Bestände seltener Vogelarten  von der Seeseite. Er hat ein Auge darauf, dass die sensiblen Uferzonen von Störungen durch zu nah heranfahrende Boote verschont bleiben. Der NABU ist landseitig aktiv und kümmert sich zum Beispiel um die Ufernschwalben, die in den Steilküsten brüten. Die Unterstützung bei der Beobachtung, Kartierung und Zählung der Vögel, so Heissler, passte ausgezeichnet ins Konzept: Die UrlaubsRanger würde ein spannender Tag erwarte, an dem sie einiges über die heimische Vogelwelt lernen können.

„Auch wenn solche Synergien die einmalige Chance bieten, inhaltlich wie fachlich tolle Projekte auf die Beine zu stellen,“ sagt Heissler, „zum Nulltarif bekommt man sie nicht.“ Einige Tausend Euro hat die AVR in die Instandsetzung des zweimastigen Kutters „Seedüwel“ investiert, mit dem die UrlaubsRanger regelmäßig vom Hafen Seedorf auch die Having hinausfahren können. Damit nicht genug. Das Vogelmonitoring ist zwar ein Höhepunkt, reicht aber für ein marktfähiges Freizeitprogramm nicht aus. Zehn Programmpunkte pro Tag umfasse das Angebot für die UrlaubsRanger, so Projektleiterin Förster, die meisten seien integrativ ausgerichtet und richten sich an alle Altersgruppen. Hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten der Scouts, wie die Animateure im Projekt genannt werden. Meist sind es junge, aufgeschlossene Ökologen, Biologen, oder Geografen, die den großen und kleinen UrlaubsRangern die Landschaft nahe bringen. Den Kinderangeboten würde besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da den Kindern oft eine Multiplikatorenrolle zukomme. Ziehe man mit ihren zum Beispiel morgens los und suche in Göhren Nester der Rauch- und Mehlschwalben, um das schwalbenfreundlichste Haus zu prämieren, könne man am Abend auch ihre Eltern dabei beobachten, wie sie nach den flinken Fliegern Ausschau halten. Solche Ferienerlebnisse bleiben hängen.“Wir müssen immer wieder neue Naturgäste suchen, gezielt dieses Klientel aufschließen.“ Daher baut Georg Heissler auf solche Dominoeffekte und auf offene wie öffentlichkeitswirksame Netzwerke, wie dem zwischen dem WWF, dem NABU und der AVR.

Es gäbe zwar ein enges Verhältnis zu den Rangern des Biosphärenreservates, mit denen man gemeinsam Veranstaltungen bestreite und die auch die Scouts in die örtlichen Besonderheiten der Landschaft einführten, aber zum eigenen Netzwerk zählt Heissler die Verwaltung bislang nicht. Das hätten die Amtsstrukturen bisher verhindert. „Wünsche der Touristen zu befriedigen, dafür reichen Führungen allein nicht aus. Eine weitere Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Tourismus im Reservat kann die Amtsstruktur nicht leisten. Aber genau das müsste getan werden, um das Reservat für unsere Gäste erlebbar zu machen. Wir tun das. Anders können wir mit dem Projekt UrlaubsRanger am Markt nicht bestehen.“ Die Vorstellung, dass der Region der Status eines Biosphärenreservates abhanden kommen könnte, weil es nicht gelingt , die inhaltlichen Ansprüche an eine solche Modellregion mit Leben zu erfüllen, behagt Georg Heissler gar nicht. „Das wäre ein tödlicher Hieb! Und zwar für jedes Hotel. Jeder nutzt doch den so positiv besetzten Titel UNESCO Biosphärenreservat kann richtig zum Motor der Region werden, aber noch hat ihn niemand angeschmissen.“

Georg Heissler und Nadine Förster werden darauf nicht warten, dafür haben sie keine Zeit. Sie arbeiten an einem Herbstprogramm für ihre UrlaubsRanger. Die Inspiration holen sie sich auf den Zicker Bergen. „Wenn man dort oben steht, in Richtung der Greifswalder Oi schaut, das Zusammenspiel von Wasser und Land, die runden Formen dieses märchenhaften Ensembles genießt, spürt man die Schwingungen der Landschaft und kann aufleben.“


Am AVR Hotel Meeresblick warten die Scouts Jens und Norbert- Landschaftsökologe der eine, Landschaftsplaner der andere. Sie begrüßen ein älteres Paar aus Wiesbaden, das sich für eine Entdeckungstour rund um Göhren hier eingefunden hat. Das Paar ist über Film und Fernsehen auf die Insel aufmerksam geworden und möchte sie nun selbst erleben. Die Tor beginnt am Nordstrand. Bald gehen Herzmuschel, baltische Plattmuschel und Sandklaffmuschel von Hand zu Hand, werden Gabeltang und Fadenalgen betastet, wird dem aufmerksamen Paar erklärt, dass die Seepocke ein Krebs ist und die Rotalgen es sind, die hier so fürchterlich stinken. Ein Sandlaufkäfer wird kurz zum Hauptdarsteller. Bevor es hoch in den Nordperdwald geht, erfahren wir, dass man ein aktives Kliff nicht nur an den Abbrüchen sondern auch an Pioniergeholzen wie der jungen Birke erkennen kann. Der Efeu verzaubert Buche und Bergahorn, die hier den Wald prägen. Am warmen Südhang wachsen Eiche, Birne Apfel. Die Zitterpappel lässt ihre Blätter tanzen. Der Abstieg hinunter zum Südstrand führt an Sanddorn und Stechapfel vorbei. die letzten Uferschwalben streifen an der Kliffkante entlang. An der Alten Schwedenbrücke blieb die Suche nach dem grünen Heupferd erfolglos. Zurück, hinein nach Göhren, geht es über Magerasen auf dem Pommersche Rauwollige im Schattten einer Eiche lagern. Der Blick geht weit aufs Meer. Die letzten Grasnelken leuchten in der Sonne.

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