Kein Delfinarium auf Rügen
flo 21. August 2006
Am Horizont ragt winzig klein wie eine Nähnadel der Leuchtturm von Kap Arkona in den blauen Morgenhimmel. „Ein Delfin würde das Kap von hier aus in zehn Minuten erreichen“, erklärt der Meeresbiologe Karsten Brensing von der Whale and Dolphin Conservation Society (WDCS), einer der weltweit größten Wal- und Delfinschutzorganisationen.
Er steht mit seinen Mitstreitern am Sporthafen von Glowe. In dem kleinen Ort im Nordosten der Insel Rügen soll ein Delfinarium entstehen. Bereits seit Mitte letzten Jahres arbeiten die Firmen Nature Project GmbH und Delphimar an der Genehmigung für dieses Projekt – bisher ohne Erfolg. Fünf Große Tümmler sollen die Besucher des Delfinariums auf dem ehemaligen Gelände des Radiosenders „Rügen Radio“ mit Kunststücken unterhalten und als tierische Therapeuten arbeiten. Dabei würden die Delfine Patienten behandeln, in den meisten Fällen Kinder, die an Krankheiten wie etwa Autismus oder Magersucht leiden.
Projektgegner gibt es viele: Knapp 20 verschiedene Natur- und Tierschutzorganisationen sprechen sich gegen den Bau des Delfinariums aus – darunter die WDCS, Pro Wildlife und der Naturschutzbund (NABU). In Glowe hat sich Ende Juli ein bunt gemischtes Team zu einer Protestaktion zusammengefunden. Auch die UrlaubsRanger des Family Club im Ostseebad Göhren beziehen eine klare Position: „Wir sind heute dabei, weil wir unsere Gäste mit dem UrlaubsRanger-Projekt für die Natur sensibilisieren wollen. Das Delfinarium steht diesem Konzept entgegen“, betonen Melanie Schröder und Katharina Grund.
UrlaubsRangerin Melanie Schröder auf Stimmenfang am Strand von Glowe – Die Mehrheit der Urlauber sprach sich gegen den Bau des Delfinariums aus. Foto: Andreas Küstermann
Anschließend sind sie am Strand unterwegs und fangen ein, was die Sommergäste vom Bau eines Delfinariums in Glowe halten. Nach etwa dreieinhalb Stunden sind die Listen gefüllt mit Unterschriften, das Ergebnis ist eindeutig: Mehr als 80 Prozent der Befragten sprechen sich gegen das Projekt aus. „Wir wollen, dass es hier so beschaulich bleibt wie es ist, sonst kommen wir nicht mehr wieder“, meinen fünf junge Berliner. Ein schwer erfüllbarer Anspruch, soll das Delfinarium doch mit etwa 1500 Plätzen eine Art Amphitheater werden, das täglich wahre Menschenmassen nach Glowe lockt.
Karsten Brensing betrachtet das Projekt aus der Sicht der Delfine. „Es ist unmöglich, Delfine in Gefangenschaft artgerecht zu halten“, sagt der Experte. Tiere, die in freier Wildbahn täglich bis zu 250 Kilometer zurücklegen und 500 Meter tief tauchen wären in Glowe in einem nur etwa 30 Meter langen und fünf Meter tiefen Betonbecken untergebracht. Woher die fünf Großen Tümmler kommen sollen ist noch immer unklar. Noch ist es nicht gelungen Delfine in Gefangenschaft nachzuzüchten – ein Beleg dafür, dass die Tiere nicht artgerecht gehalten werden können.
Eine Studie der International Marine Mammal Association aus dem Jahre 1997 belegt, dass zahlreiche Wal- und Delfinarten in Gefangenschaft eine wesentlich geringere Lebenserwartung haben als in der freien Wildbahn. Schwertwale etwa, die auch zu den Delfinen gehören, werden in Gefangenschaft durchschnittlich weniger als zehn Jahre alt. Frei lebende Artgenossen hingegen erreichen das dreifache Alter, während weibliche Schwertwale sogar um die 80 Jahre lang leben können.
In Gefangenschaft sind die Tiere einer Vielzahl von Belastungen ausgesetzt: Dazu gehören etwa Lärm, der durch permanent laufende Umwälzpumpen entsteht, Reizungen von Haut und Augen, da das Wasser aus hygienischen Gründen gechlort wird und eine unnatürliche Ernährung mit tief gefrorenem, anstatt mit lebendem Fisch. Zudem werden die Tiere aus ihren Gruppen herausgerissen und in sozialer Isolation gehalten, die für sie eine starke psychische Belastung bedeutet. „Es ist an der Zeit, dass sich Gesellschaft und Entscheidungsträger bewusst werden, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, diese hoch entwickelten Meeressäuger in Gefangenschaft zu halten,“ äußerte sich Nicolas Entrup, Geschäftsführer der WDCS, zum Tod der vier Tiere, die seit Mai 2006 im Nürnberger Delfinarium gestorben sind.
Fünf von neun Delfinarien wurden in Deutschland bereits geschlossen. „Delfinarien-Betreiber suchen deshalb nach einer neuen Rechtfertigung ihres Geschäftsmodells“, meint Karsten Brensing. Dieses Argument könnte die Delfintherapie sein, befürchtet der Meeresbiologe. Weltweit nimmt die Zahl der Delfintherapien zu und viele Eltern, vor allem psychisch oder geistig erkrankter Kinder, setzen ihre letzte Hoffnung in die Delfine. Die Tiere übernehmen vermutlich eine Art Eisbrecherfunktion und machen die Patienten zugänglich für Folgetherapien.
Delfine sind jedoch nicht unbedingt bessere Therapeuten als Hunde oder Pferde. Zumindest gibt es hierfür bislang keine wissenschaftlich haltbaren Nachweise. Auch der langfristige Erfolg der sehr kostspieligen Delfintherapie ist umstritten. Die Risiken, die für Mensch und Tier aus der Delfintherapie entstehen seien hingegen groß und müssten nicht sein, ist Karsten Brensing überzeugt. „Delfine sind Raubtiere, keine Kuscheltiere“, mahnt der Experte.
Der Kontakt mit Menschen bedeutet für die Tiere Stress – eine Reaktion, die auch für die Patienten gefährlich werden kann. In den letzten Jahren wurden bereits mehrere Fälle aggressiven Verhaltens von Delfinen gegenüber Besuchern von Wasserparks dokumentiert. Hinzu kommt das Risiko der Krankheitsübertragung vom Delfin auf den Menschen und umgekehrt. So erschmecken die Tiere beispielsweise ihre Artgenossen im Wasser und geben deshalb im Minuten- bis Sekundentakt Fäkalien ab. Dabei ist gesetzlich vorgeschrieben, dass das Wasser in Schwimmbädern Trinkwasserqualität haben muss – eine Vorgabe, die unter diesen Bedingungen schwer einzuhalten ist.
Am späten Nachmittag kommen die Teilnehmer der Protestaktion noch einmal zusammen. „Da haben wir ein schönes Ergebnis“, kommentiert Karsten Brensing die Unterschriftenaktion am Strand von Glowe. Auch die UrlaubsRanger sind zufrieden. Dennoch heißt es für sie wie auch für WDCS, NABU und die anderen weiter Augen und Ohren offen zu halten, denn für Nature Project und Delphimar ist das Projekt Delfinarium in Glowe noch längst nicht vom Tisch.
21.08.2006
Katharina Grund / Urlaubsranger UNESCO Biosphärenreservat Süd-Ost Rügen (www.urlaubsranger.de)
- Standpunkt
- Keine Kommentare